Eva-non-grata-Herman ist untergegangen, anschließend abgetaucht. Auch Johannes B. Kerner ist nicht ohne Fehl und Tadel. Ja, er hat den quotenbringenden Eklat befördert, nicht verhindert, was er hätte können. Doktoranden der Medientheorie werden jauchzen, Dissertationen schreiben über Kerners Sendung vom 9. Oktober. Die Gutmenschen reiben sich die Hände, andere reiben sich Augen und Ohren. Die rechtsextreme Szene würde sich wahrscheinlich gerne freuen, hat allerdings keinerlei Anlass und ehrlich, inhaltlich taugt Eva Herman nicht als blondes Gift für die Braunen.
Was war eigentlich das Thema, die Anklage? “Eva Herman hätte sich ein wenig verharmlosend über die Familienpolitik im Dritten Reich geäußert”, so Kerner zu Beginn der Sendung. Und? Freispruch, Euer Fernsehehren!
Anlass für Kerners Talktribunal war eine spontansprachlich verhaspelte, krude Äußerung von Eva Herman bei ihrer Pressekonferenz am 6. September und oberflächlich wurde ihr die Gelegenheit für öffentliche Klarstellung und Selbstkritik geboten. Die Chance hat sie gehabt und nicht genutzt, hatte keinen 5-Zeiler vorbereitet, der Asche auf ihr Haupt und sie zurück in den Schoß der medialen Darlings gebracht hätte. Warum? Weil eine öffentlich-rechtliche Demütigung den Verkaufszahlen ihrer Bücher nutzt? Weil sie in Wirklichkeit für die NPD kandidieren möchte? Nein und nein: Eher aus eitler Ungeschicklichkeit!
Nun sprechen alle über die gefallene Schöne und “Autobahn geht gar nicht”. Aber was eigentlich will Eva Herman sagen, was Kerner? Dankenswerterweise wurde diese Talkshow so tief und ausführlich besprochen und dokumentiert wie keine zuvor (Teil 1, Teil 2). Hat Eva Herman ein Thema? Ich denke schon, mir scheint sogar, sie hat es angesprochen, aber keiner, nicht Kerner und auch nicht Kerners Gäste wollten ihr zuhören, denn das Fernsehgericht hatte ein anderes Thema, wollte die unterhaltsame Chance einer medialen Hinrichtung nicht auslassen. Das Tribunal lechzte nach Ungeschicklichkeiten und musste nie lange warten. Die Weichen waren zu jeder Zeit auf Missverständnis gestellt. “Verstehen” war nicht vorgesehen. Und kurz vor dem Rausschmiss hatte Eva Herman Vorahnungen: “Wir sitzen jetzt hier in einer Sendung und mir wird pausenlos unterstellt ich sei im Kopf rechts und ich bin es einfach nicht.”
Nun denn. Im Zweifel für die Angeklagte. Ja, Eva Herman hat einen gestolperten Satz geäussert. Hätte sie bei der Pressekonferenz nur eher den Mund gehalten. Eigentlich war sie ganz unmissverständlich, hatte gesagt: “Und wir müssen vor allem das Bild der Mutter in Deutschland auch wieder wertschätzen lernen, das leider ja mit dem Nationalsozialismus und der darauf folgenden 68er-Bewegung abgeschafft wurde.” Hätte man denn nur gewollt, hätte man Eva Herman auch so verstehen können: Der Nationalsozialismus hat die Wertschätzung für das Bild der Mutter in Deutschland diskreditiert. Punkt. Lobt Eva Herman die Familienpolitik der Nationalsozialismus? Nein. Vielmehr: “…wenn man die Ursachen sucht, findet man sie doch hier. Hier sind die Dinge, genau diese Dinge missbraucht worden, und danach dadurch für unbrauchbar erklärt worden.” Wo ist “hier”? Bei den Nationalsozialisten. Was also haben die Nationalsozialisten gemacht? Sie haben “diese Dinge” missbraucht. Welche “Dinge”? Familie, Kinder, Muttersein. Und die 68er? Haben “diese Dinge.. danach dadurch für unbrauchbar erklärt”? Wer oder was ist “dadurch”? Der Missbrauch, den die Nationalsozialisten zu verantworten haben.
Bleiben die Ursachen - “…wenn man die Ursachen sucht…” - Ursachen für was? “… Probleme mit den Werten, warum zerfällt unsere Gesellschaft? Warum haben wir viele Scheidungen? Warum haben wir kaum noch Familien, die zusammen finden und bestehen bleiben können?” Eigentlich doch wichtige Fragen. Keinen interessiert´s. Was ist für Eva Herman eine zentrale Frage? Und sie stellt sie: “Warum denkt denn niemand über die Kinder nach, über das Wohl der Kinder und über die Bedürfnisse?”
Und Eva Herman versucht ihr Thema auf den Punkt zu bringen: “Es gibt in diesem Land doch tatsächlich Familien. Und es gibt auch tatsächlich Frauen, die arbeiten müssen… Obwohl sie vielleicht lieber in den ersten Jahren bei ihren Kinder bleiben wollen… Und diesen Frauen wird zum Beispiel auch von unseren Familienministerium suggeriert, dass dieses Wahlfreiheit ist, wenn sie einen Kitaplatz bekommen. Wahlfreiheit ist es aber nicht. Wahlfreiheit wäre, wenn diese Frau den Betrag, den ein Kitaplatz kostet, etwas über 1000 Euro im Monat, zur Verfügung gestellt bekommen würde, um frei zu entscheiden, ob sie bei ihrem Kind bleiben könne.”
Und Eva Herman wird ganz explizit. Warum will niemand sie verstehen? “Wir müssen Kinder nicht kriegen, damit die Rentenkassen voll werden – da verstehe mich bitte nicht falsch – ich rede von etwas völlig anderem, ich rede nämlich wirklich von Werten und ich rede davon, dass Kinder ersehnt, geliebt sein müssen. Wir müssen sie haben wollen. Das ist aber im Moment nicht der Fall. Wir reden von der Selbstverwirklichung und nicht mehr von den Kindern. Wir reden auch nicht von den Frauen, die Angst haben, wenn sie zu Hause bleiben, daß sie nicht mehr in den Job reinkommen. Weil politisch und auch in der Industrie die Weichen ganz anders gestellt werden.” Würde ihr wirklich jemand widersprechen, wenn sie weniger wortreich, aber dafür klarer wäre? Gemeint ist doch:
Eltern können nur dann frei wählen, die ersten Jahre mit ihrem Kind zu Hause zu verbringen oder - bezogen auf die Mütter - rasch nach dem Mutterschutz den Beruf wieder auszuüben, wenn mindestens 3 Voraussetzungen erfüllt sind:
wenn es ausreichend Krippen- und Kindergartenplätze gibt, die die Ausübung einer Berufstätigkeit ermöglichen und
wenn Eltern keine finanziellen Nachteile haben, wenn sie mit einem Kind zu Hause bleiben und
wenn die getroffene Wahl keine weiteren gesellschaftlichen oder beruflichen Nachteile mit sich bringt.
Wären diese 3 Voraussetzungen erfüllt, gäbe es familienfreundliche Wahlfreiheit. Die Einrichtung von Krippen- und Kindergartenplätze ist für sich genommen noch keine Wahlfreiheit, sondern erleichtert die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie. Und ist natürlich ein wichtiger und von den meisten - auch von Eva Herman - begrüßter Schritt.
Kurz vor dem Rausschmiss tut Kerner so, als würde er inhaltlich eine These aus Hermans Buch diskutieren wollen: “These eins: Es hat nachhaltige und negative Folgen für Kinder, wenn sie nicht an ihre Mütter gebunden werden, sondern an fremdes Erziehungspersonal.” Und Eva Herman versucht dieses Zitat aus ihrem Buch zu erläutern: “Die Bindungsforschung ist über 50 Jahre alt. Und es gibt weltweit herausragende Leute, die über die ersten drei bis vier wichtigen Jahre in der Kindheit Auskunft geben, in denen ein Kind ein Bindungsverhalten herstellt. Ich bin nicht grundsätzlich gegen die Krippe. Es gibt aber immer Fälle, wo Kinder aus sozialen Verhältnissen herauskommen und in geordnete Verhältnisse kommen, um zum Beispiel die Sprache zu lernen. Daraus darf man aber nicht den Maßstab aller Dinge machen.” Und wieder ist Eva Herman unvollständig, sagt nicht, wer und warum und unter welchen Umständen und was das Bindungsverhalten beeinflusst und welche Konsequenzen dies für das aktuelle und zukünftige Glück des Einzelnen oder der Gesellschaft hätte oder haben könnte. Schade. Auch dies ist ein wichtiges Thema, das intensiv diskutiert und nicht diskreditiert werden sollte.
Von vorne herein in der Ecke, mit dem Rücken zur Wand und vor sich den Abgrund verhält sie sich ungeschickt und beleidigt. Sie tut sich und der Suche nach einem neuen Fundament für Familie keinen Gefallen. Aber Eva Herman ist weder rechts noch links, lobt nicht die Nazis und bespuckt nicht die 68er. Deshalb: Freispruch für Eva Herman. Und Johannes B. Kerner mit seiner Traumquote? Er war nicht fair - aber er hat den Eklat nicht geplant, hoffe ich.
13. Oktober 2007 an 18:37
Wer ständig mit einer enormen Penetranz versucht, über die Medien seine qualitativ zumindest fragwürdigen Werke an Mann/Frau zu bringen, der muss eben auch clever genug sein, auf dieser Klaviatur zu spielen. Und wenn man so stolz und dämlich ist wie Frau Herman in der besagten Sendung, dann hat man’s m.E. nicht anders verdient. Auch wenn Herr Kerner und Frau Schreinemakers grauenvoll sind…
(–> siehe auch den Spreeblick-Artikel von Malte: http://www.spreeblick.com/2007/10/12/eva-herman-aus-linguistischer-perspektive/)
13. Oktober 2007 an 18:54
So wie ich das sehe, versucht sie nicht in erster Linie, ihre Werke an Mann/Frau zu bringen, sondern auf ein Thema aufmerksam zu machen, das ihr wichtig ist, u.a. indem sie sich als Autorin versucht und ihre Prominenz in den Dienst dieser Sache zu stellen. Sie mag sich insgesamt nicht sehr geschickt dabei anstellen, aber das heißt noch lange nicht, sie habe sich deshalb gefälligst zurückzuhalten.
Ich finde das Thema zu wichtig und ihre Grundansätze viel zu richtig, um sie in Bausch und Bogen für ihr Engagement zu verurteilen.
13. Oktober 2007 an 19:06
Gefällt mir sehr gut: Nimm Dir´n Keks, Kerner.
14. Oktober 2007 an 16:12
@Martin: Zu der Qualität der Werke von EH kann ich nichts sagen weil sie in der Sendung von Kerner nicht genau erörtert wurden aber jemanden wegen eines Fehlers in der Wortwahl zum Nazi zu machen, halte ich für bedenklich.
14. Oktober 2007 an 20:08
Das “Damoklesschwert Gutmensch”… wie ein Freund kürzlich sagte…
Natürlich müssen wir wachsam bleiben; aber wir sollten uns so ganz langsam ein wenig entspannen bei diesem Thema; oder zumindest die Hysterie ablegen.
Herman war besser, als sie vorgefertigte Texte abgelesen hat. Offensichtlich ist sie damit überfordert, eigene Worte zu finden.
Davon abgesehen, ist das Anliegen von Frau Herman nur ein Teil der Dinge, die wir in einer dringend notwendigen Werte-Diskussion mal besprechen sollten. Wir sollten versuchen die Frage zu beantworten: Was für eine Gesellschaft wollen wir sein? Eine Leitkultur brauchen wir! Uups, ist mir so rausgerutscht. Bitte glaubt mir, ich bin kein Nazi!!!!!!
PS. Kerner geht gar nicht! …und seine drei Heiligen auch nicht.
16. Oktober 2007 an 11:12
Hämisch voreingenommene und wenig reflektierte Berichterstattung ist auch für FAZ-Net kein Qualitätsmerkmal. Der hemmungslose Beißreflex ist ausgebrochen: Sie wollte eh gerade gehen
Eva-Herman-Bashing ist ein unwürdiges Hobby!
16. Oktober 2007 an 13:30
Das was Lynch-TV! Egal was Frau Herrman gesagt hat, sie ist schuld!
Ich kann den Verdacht nicht los werden: War es eine Bestellungsjob der NDR?
17. Oktober 2007 an 12:32
Schöner, differenzierender Steamtalks-Artikel.
Meine Meinung: Herman hat, trotz des Inquisitions- oder Tribunalcharakters der Sendung prima reagiert. Sie ist ruhig und sachlich geblieben und hat sogar ihre Themen mindestens erwähnen dürfen (u.a. Jungenversagen, Destruktion der Mütter bzw. der Familie), obwohl sie unverschämt von allen Teilnehmern angegangen wurde.
Auch der “neutrale” “Sachverständige”, die “Fachautorität” erwies sich als unverschämt inkompetent, der Geschichtsprof, der das Thema völlig verfehlte. Die armen Studenten, die bei dem Klausuren schreiben müssen!
Das Publikum hat oft für Herman geklatscht, war also wesentlich neutraler, als das Tribunal.
Ja, …. und natürlich durfte Herman keinen Fehler eingestehen, da zur Zeit genau darüber ein Gericht zu entscheiden soll.
Hier hilft ein Staatsfernsehsender dem anderen, wie oben Alexanderson, vermute ich auch, dass Herman aufs Glatteis geführt werden sollte. Wie dumm wäre Kerner, es sich mit dem NDR und dem ungebildeten Publikumsliebling Senta Berger, der hier letztlich deutlich “Kopf ab” von Kerner verlangte, zu verderben?
Das Ausland lacht: “In Deutschland darf man nicht mehr Autobahn sagen!”
Ich habe mich mit Hermans sonstigen Themen überhaupt (noch) nicht beschäftigt und bin möglicherweise sogar inhaltlich gegen sie, aber meine Welt wäre in Ordnung, wenn Kerner entlassen würde und Eva ihren Job behält.
17. Oktober 2007 an 12:33
Da ist bei mir (mindestens) ein Komma zufil !!!!
22. Oktober 2007 an 13:10
[…] Steamtalks: Freispruch für Eva Herman - Versuch einer differenzierten Betrachtung (ist schon eine woche alt, sorry) […]
28. Oktober 2007 an 12:32
Als Mensch ohne Fernseher habe ich die Diskussion um Eva Hermanns Äußerungen nur jeweils in der von anderen Medien aufbereiteten Form mitbekommen. Im Nachklang bei Spiegel Online, in einigen Print-Medien und im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk - für den ich nach wie vor gern meine GEZ-Gebühren zahle, im Gegensatz zum bewußt abgeschafften TV.
So gut kenne ich aber noch das TV-Programm, daß ich bei einer Runde mit Kerner, Senta Berger und Margarethe Schreinemakers (!) nicht ernsthaft erwartet hätte, daß es zu einer sachlichen Diskussion um das Thema kommen wird. Und der Rauswurf war m.E. nichts anderes als kalkulierte Quotenförderung fürs Krawallfernsehen, in dessen Gesellschaft ZDF und ARD längst geraten sind.
Wenn dann der anwesende Historiker Wippermann zitiert wird mit: “Aber als sie plötzlich über Autobahnen bei Hitler sprach, war das Gejohle im Publikum groß. Dabei gerät sie mit ihrer Terminologie in eine problematische Ecke.”, dann fragt man sich, wie unabhängig der Herr Historiker von diesem Gejohle noch ist und wie unvoreingenommen er an die tatsächlichen Aussagen herangeht.
Wie auch immer, nachdem ich die ursprünglichen Aussagen gelesen habe, bleibt nicht viel, was das geifernde Verhalten und reflexhafte Aufschreien rechtfertigte. Es gehört jedenfalls ein gutes Maß an Bösartigkeit oder schlichtes Wohlfühlen im Geheul der Masse dazu, um ins allgemeine “Eva bashing” einzustimmen - ihre Aussagen geben die Rechtfertigung dafür jedenfalls nicht her.
Gut, daß es z.B. Blogs wie diesen als Gegenöffentlichkeit gibt - und mittlerweile schwingt das Pendel ja auch in den mainstream Medien wieder etwas in die andere Richtung. So lief vor einigen Tagen im Deutschlandfunk ein Beitrag, in dem E.H. ausführlich zu Wort kam und ihr umstrittenes Statement komplett zitierte. Da bleibt nicht viel fürs aufgeblasene Medienspektakel übrig.